Mutig rechnen, mehr verdienen

AHGZ - Ein Beitrag zum Teil 3 der Serie Warenkalkulation in der Gastronomie

In der vergangenen Woche hat die AHGZ dargestellt, wie eine Kalkulation mit fixen Deckungsbeiträgen funktioniert. Damit sind Gastronomen jedoch noch nicht am Ende der Preisfindung angelangt. Denn nicht jeder Preis, der sich auf Basis einer Kalkulation ergibt, ist als Kartenpreis brauchbar. Auch die Psychologie spielt eine große Rolle – und das Preisniveau der Mitbewerber.

 

Im Einzelhandel werden psychologische Preisschwellen stark beachtet. Deshalb sind im Supermarkt die Preise fast immer auf 9 Cent „gerundet“. Die meisten Preise enden auf 99 Cent. Diese verkaufsfördernde Preispsychologie ist auch auf die Gastronomie übertragbar. Entweder setzt man den Preis leicht unterhalb der Preisschwelle oder deutlich oberhalb an.

 

Ein Gericht, das nach der Kalkulation 10,10 Euro kosten müsste, sollten Wirte deshalb nicht exakt zu diesem Preis auf die Karte setzen. Denn mit den 10 Euro wird eine Preisschwelle überschritten, die eine Signalwirkung für die gesamte Speisekarte hat. Hier entsteht ein Entscheidungsproblem: Sollen es 9,90 Euro sein oder 10,20 Euro oder 10,50 Euro oder sogar 10,90 Euro? Hier ist ein System gefragt.

 

Gewusst wie

 

Zunächst muss man festlegen, mit welchen Preisstufen nach der Kommastelle grundsätzlich gearbeitet werden soll. Glatte Euro-Beträge (also 10 Euro, 15 Euro etc.) sowie Preise auf 0,10 Euro sollten auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Auch mit Preisen auf 30, 40 oder 70 Cent verschenkt man Deckungsbeiträge. Bei Preisen in der Bandbreite zwischen 5 und 20 Euro sind zwei Stufen für die Cent-Beträge ausreichend: 50 und 90 Cent. Bei Preisen über 20 Euro reicht sogar eine Preisstufe nach dem Komma – am besten sind 90 Cent.

 

Wie sind die kalkulierten Preise auf die definierten Preisstufen auf- oder abzurunden? Soll man immer auf die nächsthöhere Preisstufe aufrunden oder die Preisstufe nehmen, die am nächsten liegt? Wer außer der preispsychologisch günstigeren Gestaltung einen kleinen Zusatznutzen haben möchte, verschiebt die Rundungsgrenzen, sodass sich mehr Auf- als Abrundungen ergeben. Ein solches Schema ist in der Tabelle unten dargestellt.

 

Die sich ergebende Differenz von durchschnittlich 15 Cent brutto pro Gericht erscheint auf den ersten Blick gering – bei 100 verkauften Gerichten pro Tag sind dies jedoch rund 4600 Euro netto pro Jahr.

 

Außer den psychologischen Preisschwellen spielen auch die Mitbewerber eine Rolle. Wenn das Gericht nach der Kalkulation mit 12,90 Euro auf der Karte stehen sollte, die benachbarten Mitbewerber es aber für 9,90 Euro anbieten, entsteht beim Gastronomen häufig Angst, durch den höheren Preis Marktanteile zu verlieren. Mutig sein lohnt sich aber: Erstens sind die Speisen der Mitbewerber meist nicht völlig identisch. Falls doch, kann man das Gericht leicht abändern (beispielsweise andere Beilagen) und sich so der direkten Vergleichbarkeit entziehen. Zweitens rechtfertigt eine höhere Qualität – nicht nur des Essens, sondern auch des Ambientes – einen Preisunterschied. Drittens haben Gäste in der Regel gar nicht den perfekten Marktüberblick. Und viertens ist der Preis nicht das alleinige Entscheidungskriterium für die Gäste. Häufig führt eine relativ starke Preisanhebung eines einzelnen Produkts nicht zu weniger Nachfrage. Selbst wenn die Nachfrage leicht zurückgeht, bleibt oft unter dem Strich mehr übrig. Außerdem können höhere Preise für den Mitbewerber der Anstoß sein, seinerseits die Preise anzuheben.

Mut zu höheren Preisen

 

In manchen Marktsituationen ist es schwierig, Preisschwellen zu berücksichtigen. Das gilt beispielsweise für das Mittagsgeschäft. Die Gäste wollen oder können oft ein bestimmtes Budget nicht überschreiten. Hier sollte man die Kalkulation umkehren: Nicht die Kosten sind der Ausgangspunkt, sondern ein vorgegebenes Preisniveau.

 

Beispielsweise könnten Gastronomen jeden Mittag ein Tagesgericht für7,90 Euro oder stets drei Hauptgerichte unter der 10-Euro-Schwelle anbieten. Die Kosten müssen sie dem vorgegebenen Preis anpassen. Vom Netto-Verkaufspreis wird der definierte Soll-Deckungsbeitrag abgezogen (zum Beispiel 4 Euro), der Restbetrag steht für den Wareneinsatz zur Verfügung. So wird trotz des niedrigen Preises ein bestimmter Betrag verdient. Der Wareneinsatz ist aber nicht jeden Tag gleich und muss deswegen im Durchschnitt einer Woche oder auch eines längeren Zeitraums errechnet werden.

Wer nicht die Zeit für eine gründliche Kalkulation aller Artikel hat, sollte Prioritäten setzen: Kalkulatorisch unter die Lupe zu nehmen sind vor allem die viel verkauften und die Standardgerichte. Denn hier ist am meisten Geld zu verlieren – und zu gewinnen.

 

Tipps für die Preisgestaltung:

 

  •     Beachten Sie psychologische Schwellenpreise und nutzen Sie deren Spielräume „hinter dem Komma“ aus!
  •     Gehen Sie mutig voran bei Preiserhöhungen – warten Sie nicht auf die Preiserhöhung der Mitbewerber!
  •     Sorgen Sie für mehr Unvergleichbarkeit Ihres Angebots – das hilft Ihnen, Ihre Wunschkalkulation durchzusetzen!
  •     Schaffen Sie sich neue Marktchancen, indem Sie rückwärts kalkulieren und die Kosten dem Marktpreis anpassen!
  •     Kalkulieren Sie vor allem Ihre Renner genau und testen Sie den Preisspielraum aus!

 

 

Autor: Dipl. Kfm. Jochen Schmidt

Erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung, Ausgabe 2008/19

(Teil 3 der AHGZ -Serie zur Kalkulation)

überarbeitet am 23. Juni 2014